Putschversuch in der Türkei – ein Sieg der Demokratie ?

Politik, Reisen

Solidarität mit Erdogan nach Putschversuch

Gerade einmal eine Woche ist es her, dass der Putschversuch in der Türkei scheiterte und es aus allen politischen Lagern einhellig dröhnte: Wir verurteilen den schändlichen Anschlag von Teilen des türkischen Militärs auf die Demokratie in der Türkei. Nur das Volk als der einzige Souverän kann eine Regierung einsetzen oder abberufen.
Allenthalben meinte man Erleichterung zu spüren und schon zu dieser Zeit fragte ich mich, weshalb eigentlich die Begeisterung über den Sieg Erdogans so groß war oder so dargestellt wurde. Nun,- wahrscheinlich war man froh, daß der Putsch fehlgeschlagen ist weil damit potentiellen Nachahmern der Wind aus den Segeln genommen wurde. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von Ländern, in denen unter dem Deckmantel der parlamentarischen Demokratie in Wirklichkeit Diktatoren herrschen. Angesichts der vielen Beispiele von Parlamentariern auch in Deutschland, die den hohen moralischen Ansprüchen Ihres Amtes nicht gerecht werden und dennoch auf Ihren gut dotierten Sesseln sitzen bleiben, fragt sich auch hierzulande mancher Bürger, ob das noch Demokratie ist, was wir hier veranstalten und ob die richtigen Leute unser 80 Millionenvolk regieren. So wurde erst kürzlich eine Parlamentarierin der SPD mit gefälschtem Lebenslauf erwischt. Schauen Sie sich nur die gewaltige Anzahl der Nichtwähler an. Schnell wird dann klar, dass letztlich nur eine Minderheit der Bevölkerung unsere jetzige Regierung legitimiert hat. Soweit ist das Aufatmen der Politiker aller Coleur verständlich. Von langer Dauer war es freilich nicht. Und das war angesichts der nicht nur latent vorhandenen Hegemoniebestrebungen des Herrn Erdogan absehbar. Denn es kam, was kommen musste.

Erdogans Gegenschlag


Erdogan nutzte die entstandene Lage, um konsequent gegen seine Gegner und sogar deren Familien (Ausreisebeschränkungen für Familienmitglieder von Beamten etc. ) vorzugehen und so seine Macht zu zementieren. Irgendwie erinnert mich das an Sippenhaft. Schlag auf Schlag auf Schlag kamen seine Maßnahmen mit ungeahnter Härte und Präzision und nicht wenige argwöhnen inzwischen, dass dies alles von langer Hand vorbereitet worden ist. Und wieder einmal haben unsere Geheimdienste den Schlaf der Gerechten geschlafen.

  • Festnahme führender Mitglieder der Armeeführung und am Putsch beteiligter Militärangehöriger
  • Amtsenthebung tausender Richter und Staatsanwälte (das hatten wir doch schon mal im Zusammenhang mit der  Korruptionsaffäre um die Söhne einiger Minister)
  • Entlassung tausender Mitarbeiter des Innenministeriums
  • Entlassung tausender Mitarbeiter des Bildungsministeriums
  • Ausreisebeschränkungen für Beamte und deren Familien
  • Ausreiseverbot für Wissenschaftler und Rückruf von im Ausland lebenden Akademikern
  • Entlassung tausender Universitätsdekane, Rektoren und Hochschullehrern
  • Auflösung der Präsidentengarde
  • Festnahme von Verwandten des angeblichen Putschisten Gülen
  • Verbot aller Organisationen, die mit der Gülenorganisation zusammen arbeiten
  • Ausrufen des Ausnahmezustandes zunächst für drei Monate

Die Liste der Anschläge auf das demokratische Fundament der Türkei ist lang und sicher noch nicht vollständig. Und genauso einhellig wie  zuerst das Scheitern des Putsches begrüßt wurde, wird  jetzt das Abdriften der Türkei in die Diktatur beklagt. Wie scheinheilig, denn jeder, der Augen hat, konnte erahnen, was kommen würde.

Militärputsche in der Türkei

Auf einen Aspekt sei noch verwiesen. Bereits dreimal hat das türkische Militär erfolgreich geputscht:

  1. 1960 – Putsch gegen die Regierung Menderes, die aufgrund sozialer Ungerechtigkeiten den Rückhalt in der Bevölkerung verloren hatte und sich mit Repressalien an der Macht zu halten versuchte. Es wurde ein Komittee der nationalen Einheit gebildet und der Regierung Menderes der Prozeß gemacht
  • 1971 – Militär putscht gegen Süleyman Demirel, der für langandauernde Unruhen im Land verantwortlich gemacht wurde. Es wurde eine überparteiliche Regierung gebildet und zahlreiche soziale Reformen durchgeführt. Aber auch mehr als 10.000 Personen wurden festgenommen
  • 1980 – erneut wurde das Land von sozialen Unruhen erschüttert, die Wirtschaft hatte ein riesiges Handelsbilanzdefizit  und Auslandsschulden von 20,9 Milliarden US-Dollar, die Inflationsrate betrug über 100 %, durch andauernde Kämpfe zwischen links- und rechtsextremen Gruppen waren bürgerkriegsähnliche Zustände entstanden, am 12.09.80 schließlich übernahm die Armee die Macht;,um, die Staatsautorität wiederherzustellen. Die Regierung wurde abgesetzt, Gewerkschaften, Vereine und Stiftungen wurden verboten und ihre Funktionäre vor Gericht gestellt.Eine Militärjunta übernahm die Macht, eine Verfassungsreform wurde verkündet, die Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit, der Kampf gegen den Terror und die Senkung. der Inflation wurden als Ziele verkündet. 1982 wurde dann per Volksentscheid die Verfassung geändert. Im Verlaufe des Putsches wurden 45.000 Personen festgenommen, gegen 13.000 wurde Anklage erhoben und 18 Todesurteile verkündet, 23.677 Vereine wurden geschlossen, 3854 Lehrer, 120 Dozenten und 47 Richter wurden entlassen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass stets gravierende innenpolitische Probleme politischer und wirtschaftlicher Art dem Eingreifen des Militärs vorangingen, die die zivilen Regierungen nicht in den Griff bekamen. Ziel war stets, die Wiederherstellung der Staatsordnung und die wirtschaftliche Gesundung des Landes. Und stets wurde die Macht wieder an demokratische Regierungen übergeben. Ich will nicht dem Militärputsch als legitimes Mittel  der Politik das Wort reden. Dem Militär aber Machtgelüste zu unterstellen, greift auch zu kurz.

Wie geht es weiter ?

Es bleibt abzuwarten, wohin Erdogan die Entwicklung in der Türkei treibt. Nachdem er den Konflikt mit der PKK wieder kräftig entfacht hat, sehe ich die Gefahr, dass das Land in einen Bürgerkrieg abdriftet. Ob das Militär wie beim letzten Putschversuch erneut mehrheitlich hinter der Regierung Erdogan steht, bleibt abzuwarten. Sehr wahrscheinlich ist es nicht. Sicher wird Frau Merkel und auch andere europäische Politiker versuchen, mäßigend auf Erdogan einzuwirken. Doch mit dem Flüchtlingsabkommen hat Erdogan Deutschland im Würgegriff und dessen ist er sich auch bewusst.

Urlauben an der türkischen Riviera ?

In meinem Beitrag vom 26.05.16 hatte ich gefragt; „Warum nicht in die Türkei“ ?Aus heutiger Sicht werden viele Urlauber in spe eine Menge Argumente gegen einen Türkeibesuch finden. Ich habe den Herbst als nächsten Besuchstermin fest im Auge,- das Land und seine Menschen sind es wert.


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