Deutschland hat viele Baustellen. Im wörtlichen Sinne sind es die zahlreichen Versäumnisse bei der Instandhaltung unserer Infrastruktur. Darüber hinaus sind es die verkrusteten Strukturen in der Politik und  des Staates, ein enormer Rückstau bei der Modernisierung der Verwaltung, ein erhebli cher Erneuerungsbedarf in der Bildung, die Erneuerung des Zivil- und Katastrophenschutzes, die Umsetzung der Klimaziele Deutschlands inklusive einer Energiepolitik, die die Abhängigkeit Deutschlands von wenigen Lieferanten beendet. Dazu kommt nicht zuletzt eine tiefgreifende Reform der Bundeswehr. 
Auch wenn ich eine Reform des gesamten Staatswesens inklusive Wahlrechtsreform, Reform der Parteienfinanzierung sowie die Abschaffung des Föderalismus als notwendige Voraussetzung für die Gesundung unseres Staates erachte, ist die Digitalisierung von Verwaltung und Wirtschaft doch ein äußerst wichtiges Instrument zur Modernisierung von Staat und Wirtschaft. Ob sie unter den gegebenen Strukturen gelingen kann, kann wohl nur das Orakel von Delphi weissagen.

 

Digitalisierung mal ganz privat

Immer mehr werden die Auswirkungen der digitalen Rückständigkeit auch im Alltag normaler Bürger spürbar. Nachstehend ein paar Beispiele aus meinem digitalen Alltag.

„Wir sind leider damit überfordert, ihrem Sohn seine Hausaufgaben nach Hause zu senden.“ Dies teilte die Schule meines Enkels der Mutter anfangs dieser Woche mit.

Ich habe meinen Hausarzt um das Einspielen meiner Krankenakte in die Patientenakte meiner Krankenkasse gebeten. Diesem Wunsch konnte Sie aus technischen Gründen nicht nachkommen. Gleiches gilt für meinen Zahnarzt und meinen Augenarzt. Letzterer wird die Übertragung demnächst einführen. So befinden sich in meiner Patientenakte nur Befunde, die mir die Ärzte per Mail zukommen lassen und die ich dann händisch in die Akte aufnehme. Dabei gilt das Gesundheitswesen als die Sparte, die am weitesten fortgeschritten in Sachen Digitalisierung ist. Den Antrag auf Kurzzeitpflege für einen Angehörigen konnte ich immerhin bei der Krankenkasse online stellen. Ein Blick auf die Webseite meiner Gemeinde zeigt, daß das Gesundheitswesen in der Tat ein Digitalisierungspionier ist. So findet sich auf den Seiten der Gemeinde keine einzige rein digitale Anwendung. Im Onlinezugangsgesetz (OZG) ist eindeutig festgelegt, dass die Kommunen, die Länder und auch der Bund bis zum Jahresende 2022 alle Verwaltungsleistungen digital anbieten müssen. Dieses Ziel wird selbstverständlich wie bisher alle digitalen Projekte nicht im vorgesehenen Zeitrahmen umgesetzt werden.

Ohne schnelles Netz keine erfolgreiche Digitalisierung

Digitalisierung hat viele Aspekte. Wichtigste Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung aller Bereiche der Gesellschaft ist natürlich ein schnelles Datennetzwerk, das in der Lage ist, die gewaltigen zu erwartenden Datenströme in ganz Deutschland sicher und in Echtzeit zu übertragen. Auch wenn es beim Ausbau des G5-Netzes und der Glasfaserinfrastruktur durchaus Fortschritte gibt sind wir von einer Vollversorgung noch weit entfernt und rangieren international Stand 2020 auf dem letzten Platz im Länderranking.

Deutschland im internationalen Ranking

Sorgenkind eGovernment

Die Bereiche eGovernment, also die Digitalisierung der Verwaltung, und die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung die Schwerpunkte des digitalen Umbruchs. Es sind auch die Sparten, deren Digitalisierung seit Jahren nicht voran geht. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Neben den technischen Problemen sind es vor allem personelle Probleme, die für diesen Stillstand verantwortlich sind. So wird die Digitalisierung von vielen Medizinern als lästiges und nachrangiges Problem betrachtet. Zudem ist ein Teil der Ärzteschaft durch andauernde technische Probleme mit Telematik frustriert. Zudem werden die Praxen mit den Kosten für die nötige Gerätetechnik belastet. Ein großer Teil der Angestellten und Beamten der öffentlichen Verwaltung hingegen blockieren die Digitalisierung. Dazu kommt das Fehlen an technischen Sachverstand, sprich IT-Spezialisten, in den Ämtern und Behörden.

Dazu stellte der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums im März 2021 fest:

„Der Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung“ beruhe „auf verschiedenen Formen von Organisationsversagen“, stellte der Wissenschaftliche Beirat des damaligen Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) im März 2021 in einem Gutachten fest.“

In der Teilkategorie „Digitalisierung der Verwaltung „der Europäischen Kommission ist Deutschland seit 2017 sogar um weitere 4 Plätze abgerutscht und belegt aktuell den 16.Rang hinter Slowenien und Litauen. Wer monatelang auf Antworten und Entscheidungen von Ämtern warten musste und das Chaos beim Homescooling ihrer Kinder erlebt hat, kann nachvollziehen, dass Deutschland bei fünf von sieben Indikatoren der Digitalisierung sogar zurückgefallen ist. 

Nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch die entsetzlichen Überschwemmungen im Ahrtal haben die Überforderung deutscher Behörden offenbart. Und diese Mängel bestehen fort. Es fehlt nicht nur der Mut zur Umgestaltung, sondern auch die Weitsicht und Einsicht in die Notwendigkeit . Bayern und Thüringen gehen dabei in ihrem Festhalten an altbewährtem soweit, die Abschaffung der veralterten und unsicheren Faxtechnik abzulehnen. Verweigerungshaltung auf höchster Ebene.
Das haben wir schon immer so gemacht und dabei soll es bleiben. So lautet das Credo vieler Ämter und Behörden. Hier zeigt das Berufsbeamtentum seine schwarze Seele.

Berufsbeamtentum und Föderalismus als Bremsfaktor

Einmal verbeamtet ist das Berufsleben der Staatsdiener von jeglicher sozialen Unsicherheit befreit. Gleichzeitig wird damit den Beamten aber auch die Motivation für Innovationsstreben und die Optimierung ihres Arbeitsumfeldes genommen. Die Beamtenlaufbahn wird ihm in regelmäßigen Abständen eine Beförderung bzw. Erhöhung der Bezüge bescheren. Besondere Anstrengungen der Beamten sind hierfür nicht vonnöten. Dieses Schlaraffenland macht viele glücklich aber auch träge. Das Berufsbeamtentum ist in der heutigen Zeit kontraproduktiv und bremst die Erneuerung der Verwaltung ebenso aus wie die föderale Struktur Deutschlands. Dazu stellt die Studie von Hans-Peter Klös zur Digitalisierung des Staates in Deutschland fest:

„Standardisierungen und Vereinfachungen in der Verwaltung, aber auch eine Hinterfragung der Zuständigkeiten von Bund, Land, kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung sind notwendig (Hüther/Röhl, 2021). In diesem Zusammenhang ist eine rasche Standardisierung der fragmentierten IT-Infrastruktur von Ministerien, Landesbehörden und von Behörden auf den unteren Ebenen anzustreben, damit Schnittmengen verringert und behördenübergreifende Prozesse effizienter gestaltet werden. Eine zuverlässige digitale Infrastruktur vernetzt Bürger, Wirtschaft und Verwaltung. Damit Verwaltungsdienstleistungen aller Ebenen rund um die Uhr und mit jedem Gerät verfügbar sind, bedarf es eines zentralen digitalen Zugangstors durch die Weiterentwicklung der zentralen Landesportale, damit staatliche und kommunale Dienste zentral online angeboten werden können.“

Es gibt 16 Bundesländer (ohne Mallorca), 294Landkreise, 107 kreisfreie Städte und Stadtkreise und 10796 Gemeinden. Deren widerstrebende Interessen bei der Digitalisierung zu koordinieren, kann man mit vollem Recht als Sisyphusaufgabe betrachten.

Die Ziele und die Erfolgsaussichten

Nach dem Onlinezugangsgesetz muss es bis zum Ende diesen Jahres möglich sein, im Netz den Führerschein zu beantragen, ein Gewerbe anzumelden oder eine Geburtsurkunde ausstellen zu lassen. Dies scheint aber noch ein weiter Weg zu sein. Der Normenkontrollrat monierte bereits 2020: „Noch ist wenig zu sehen. […] Wir brauchen mehr Transparenz und ein präzises politisches Monitoring“ (Normenkontrollrat, 2020, 3)
Zudem solle es nach dem Scheitern des bisherigen Verfahrens ein neues IT-Architekturboard geben. Damit ist ein kompletter Neustart zu einer einheitlichen IT-Architektur von Bund, Ländern und Gemeinden verbunden.

Das sind große Aufgaben. Es braucht echte Helden, um diese Aufgaben zu bewältigen. Am Geld wird es wohl nicht scheitern.


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