Verkehrspolitik im Parteienstreit

Das ist die Theorie

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist eine der am meisten gedroschenen Phrase in den Reden unserer Volksvertreter. Das klingt so wunderbar nach Freiheit, nach Demokratie und auch nach Ordnung und meint somit die Werte, die den Bürgern nach allgemeinem Konsens besonders wichtig sind. Aber sind das tatsächlich die Werte, die dem Normalbürger und den Politikern gleich wichtig sind? In Bezug auf die Freiheit, die in Ost und West als persönliche und Meinungsfreiheit und im Osten historisch bedingt auch besonders als Reisefreiheit geschätzt wird, kann man dies wohl feststellen.

Das ist die raue Praxis

Im Hinblick auf die Demokratie sind Zweifel angebracht. Demokratie, abgeleitet aus dem altgriechischen demokratia, bedeutet Volksherrschaft. Aber herrscht in Deutschland wirklich das Volk? Oder sind es nicht vielmehr die Parteien? Die Parteigranden oder wie es immer so schön und undefinierbar heißt, die Gremien, legen fest, wer die innerparteilichen Faustkämpfe gewinnt und die begehrten Listenplätze für die Wahl erhält. Natürlich setzen die Kandidaten nach der Wahl dann auch in erster Linie das Parteiprogramm und nicht etwa den Koalitionsvertrag um. Sehr schön kann man das derzeit beim Gerangel um die Beschleunigung von Verkehrsprojekten beobachten.

Trauerfall Infrastruktur

Kein Comedian traut sich heute vor sein Publikum zu treten, ohne ein paar hämetriefende Sätze über die marode Infrastruktur Deutschlands zum Besten zu geben. Damit sind in erster Linie die unpünktliche Bahn mit ihrem hochbetagten Schienennetz, das völlig überlastete Straßennetz und die einsturzgefährdeten Brücken gemeint. Doch auch das Hochspannungsnetz gehört ebenso wie die Internet- und Handyinfrastruktur zu den Dauerbaustellen in der noch größten Volkswirtschaft Europas. Auch die verrotteten Gehwege und das nur rudimentär ausgebaute Radwegenetz verlangen nach riesigen Investitionen.

Das alles ist der Koalition bekannt und soll daher gemäß Koalitionsvertrag unverzüglich angegangen werden.

Parteipolitische Konflikte im Verkehrssektor

Mit Hilfe einer Planungsbeschleunigung (man fürchtet sich jetzt schon vor dem Titel des künftigen Gesetzes) soll der Turbo bei den Bauprojekten des Verkehrssektors eingelegt werden. Weshalb die Planungsbeschleunigung nur für den Verkehrssektor gelten soll, wird eines der Geheimnisse der Ampel und ein Geburtsfehler des Gesetzes bleiben.
Doch bevor Ideen in ein Gesetz gegossen werden können, müssen die Gräben zwischen FDP und den Grünen überwunden werden und die sind tief, weil von grundsätzlicher Natur. Fundamentalpositionen der Parteien prallen aufeinander. Verbrenneraus und Tempolimit sind schärende Wunden zwischen den Parteien. Auch die Frage: schneller Straßenneubau – ja oder nein? gehört dazu. Und wie bereits eingangs erwähnt stehen parteipolitische Interessen im Vordergrund und nicht etwa wirtschaftliche Notwendigkeiten und praktische Zwänge. Wo sachliche, konstruktive Erwägungen notwendig wären, agieren parteipolitische Eiferer.

Planungsbeschleunigung wollen alle. Gestritten wird nur darum, welche Projekte gefördert werden sollen. Das FDP-geführte Verkehrsministerium möchte einen beschleunigten Baubeginn vor allem für Bundesfernstraßen, Bundeseisenbahnen und Bundeswasserstrassen. Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen möchte den Neubau von Straßen, Flughäfen und Wasserstraßen vom Beschleunigungsgesetz ausschließen.

Die Sozialdemokraten mahnen Kompromissbereitschaft an . Sie fordern die Streithähne auf, zur Sachdebatte zurückzukehren. Es geht nicht darum, wer für oder gegen Straßen ist, sondern nur um die Beschleunigung wichtiger Bauprojekte.
Diese Äußerung ist zugleich richtig und mach gleichzeitig mit dem Nachsatz den vernünftigen Ansatz wieder kaputt. Es geht nicht darum, wer für oder gegen Straßen ist, aber es geht auch nicht um die Beschleunigung wichtiger Bauprojekte. Denn die Forderung, wichtige Bauprojekte zu fördern, bietet allen sofort einen neuen Ansatz für neuen Streit um die Frage, welche Bauprojekte denn wichtig seien. Und schon beißt sich die Schlange in den Schwanz. Denn wirklich nötig ist es, alle Bauprojekte zu beschleunigen. Nur das kann der eigentliche Sinn des Gesetzes sein und es sollte folgerichtig auch nicht auf Verkehrsprojekte beschränkt sein. Welche Projekte dann zu welchem Zeitpunkt realisiert werden (und das im beschleunigten Verfahren) steht auf einem ganz anderen Blatt. Solche einfache Tatsachen sollten auch Politprofis verstehen oder?

PS: Besonders pikant an den Vorhaben ist, dass bereits am 12.09.1996 ein gleichnamiges Gesetz (Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren) vom Bundestag beschlossen wurde. Vielleicht ist unserem Verkehrsminister Volker Wissing diese Tatsache entgangen. Am 28.11.2018 hat man dann mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich vom 28.11.2018 („Planungsbeschleunigungsgesetz I“) noch einmal nachgelegt. Auch ein Investitionsbeschleunigungsverfahren wurde am 03.12.2020 beschlossen und zwar mit einem Geltungsbereich über das Verkehrsresort hinaus. Gesetze haben wir offensichtlich im Überfluss. Es setzt sie nur niemand um.

Wir wollen große und besonders bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen auch im Wege zulässiger und unionsrechtskonformer Legalplanung beschleunigt auf den Weg bringen und mit hoher politischer Priorität umsetzen. Unter solchen Infrastrukturmaßnahmen verstehen wir systemrelevante Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerke (z. B. kritische Brücken)
aus dem Koalitionsvertrag der Ampel

Tweet

Auch Bismarck hatte bereits mit Parteiquerelen zu kämpfen und prägte dazu einen Satz, der an Aktualität nichts eingebüßt hat.

Ein großer Staat regiert sich nicht nach Parteiansichten.

Otto von Bismarck

Entdecke mehr von Meine ungefragte Meinung

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

FDP setzt auf Strassenausbau, Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, Parteienherrschaft statt Demokratie, Statt Sachlichkeit Parteienstreit
Vorheriger Beitrag
Brandenburger Landtag erhöht die Diäten
Nächster Beitrag
Keine Ermittlungen gegen Kanzler Scholz

Du glühst vor Begeisterung oder schäumst vor Wut,-hier kannst Du es rauslassen.